Der Triebwagen GHE T 1
(Ein Artikel der Mitgliederzeitung "Harzbahnpost" 4/2010 der IG Harzer Schmalspurbahnen e.V. - mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Von Siegmar Frenzel
Bedingt durch
die Nachwirkungen des I. Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise hatte
die Gernrode-Harzgeroder-Eisenbahngesellschaft (GHE) große finanzielle
Schwierigkeiten zu bestehen und zu überwinden, um den geforderten
Betrieb weiter fortsetzen zu können. Der Fahrzeugpark war überaltert,
die Loks teilweise zu schwach, um den gestiegenen Anforderungen im
täglichen Fahrbetrieb standzuhalten. Die drei im Krieg verbliebenen
Malletloks und die dazugehörigen Wagen waren zwar finanziell
ausgeglichen worden, aber das Geld ist durch die Inflation verfallen.
Die Mittel für die beiden fünfachsigen Loks GHE 21 und 22 verursachten
zusätzliche Kosten, man stand tief in den roten Zahlen. Hinzu kam ein
bemerkenswerter Anstieg der Konkurrenz durch sich bildende
Kraftverkehrs-unternehmen, die dem Bahnbetrieb zu schaffen machte. Dem
trat man entgegen, indem man selbst ein bahneigenes
Kraftverkehrsunternehmen gründete und natürlich auch dafür Fahrzeuge
erwerben musste. Die Reduzierung der Kosten hatte oberste Priorität und
bestimmte die zukünftige Verfahrensweise im Bahnbetrieb.
Als sich die finanzielle Lage 1933 etwas verbesserte, entschloss man
sich schließlich, einen Triebwagen zu kaufen, um somit den Ansprüchen
auf den verkehrsschwachen Abschnitten gerecht zu werden. Versuche mit
Holzgastriebwagen auf der Brohltalbahn standen zur Diskussion, günstiger
waren natürlich Dieseltriebwagen, es stand ja schon vor 1930 ein
Dieseltriebwagenpaar für Testfahrten bei der GHE im Einsatz, welches
aber für den Export nach Brasilien vorgesehen war. So entschied sich die
Geschäftsleitung für die Beschaffung eines kleinen zweiachsigen
Dieseltriebwagens, mit 32 Sitzplätzen, von der Waggonfabrik Dessau, der
auch schon für andere Bahnunternehmen gebaut wurde.
Durch den Einsatz dieses Fahrzeuges, konnte die Kostensituation
wesentlich verbessert werden, kostete doch der km nur 0,35 RM, gegenüber
den Kosten für einen Dampfzug von 2,50 RM/km. Man stand der
Modernisierung des Fahrzeugparkes der Schmalspurbahn sehr positiv
gegenüber, sah man doch nun einen Lichtblick am Horizont für den
Weiterbetrieb. Dazu eine am 25. November 1933 erschienene Zeitungsnotiz
im "Harzer Boten":
Der neue Schienenzepp der Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn wurde
Dienstag und Mittwoch zum ersten Male in Probefahrten in Betrieb
gesetzt. Der 32sitzige Omnibus macht einen ausgezeichneten Eindruck.
Nach einigen kleinen Abänderungen wird er in Dienst gestellt werden.
Der GHE T 1, wie seine bahndienstliche Bezeichnung war, kam in erster
Linie zwischen Alexisbad und Stiege zum Einsatz. Die erste Fahrt nach
dem Fahrplanwechsel im Mai 1934 wird im "Anhalter Kurier Bernburg" vom
15.05.1934 in sehr blumiger Sprache wie folgt beschrieben:
Die neue Selketalbahn
Am Montag hatte auf allen Bahnhöfen der Schwamm den großen Kehraus
mit den alten Winterfahrplänen gemacht. Und am Dienstag prangten die
neuen Pläne mit der Ankündigung der verbesserten Zugverbindungen überall
an den Wänden.
Auf Bahnhof Gernrode aber stand im lachenden Maienmorgen ein neuer,
blitzender Wagen. Die alten, schmalbrüstigen Wägelchen unserer
Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn, die bald 50 Jahre treu und brav ihren
Pionierdienst der Verkehrserschließung des Unterharzes geleistet, waren
bescheiden auf die Seitengeleise geschoben. Nicht schnob mehr die
kleine, arbeitsfreudige "Loko" ihren oft wenig erfreulichen Atem in die
frische Harzluft.
Pünktlich um 8.20 Uhr schwingt sich das neue Fahrzeug vorwärts. Leise
surrt der Rohölmotor, kein Keuchen und Prusten der kleinen "Loko" mehr,
kein hässlicher Qualm, der manchmal ärgert. Es gibt nur eine Klasse, wie
bei der Straßenbahn, aber gepolstert. Im grünen, frischen Walde sind
alle Menschen gleich.
Am Sternhaus - du liebes, freundliches Waldidyll, abseits der großen
Straßen - begegnen sich verwundert alte und neue Zeit. Von oben her
kommt das alte Bähnlein gefahren, die alten Schaffnergesichter grüßen
hinüber. Ein fröhliches Winken. Dann fliegt der neue, schöne Bruder
weiter in die Berge hinein. Sonnige Lichtungen tuen sich auf. Saftgrünes
Laub löst die Tannen ab. "Ramberg" wird durchfahren. Der Förster steht
da und sieht sich den schnellen Gesellen an, der so respektlos seine
Schneisen und Holzschläge quert.
Mit 30 Kilometer geht es aufwärts. Das klingt so gering, nicht wahr, Ihr
60-, 90-, 100-Kilometerfresser? Aber unser altes Bähnle brachte es nur
auf 22-25 Kilometer und brauchte Vorspann, wenn die Last von
Frachtwagen, mit den Holzerzeugnissen des Selketales beladen, ihm
anhing.
Die Heinrichsburg wird umfahren. Verwundert schaut das alte Gemäuer herunter.
Die neue arbeitsbelebte Mägdesprunger Chaussee steht auch im Wandel der
Zeit. Schon ebnet sich die Straße, die Zubringerdienste der kommenden
Reichsautobahnstraße leisten soll. Bald werden die Steinhaufen rechts
und links verschwunden sein, die heute noch den Verkehr hemmen.
Mägdesprung ist erreicht. Der Herr Vorsteher kontrolliert die Zeit. Es
klappt tadellos. Der Wagen hat ja auch schon seine Probefahrten hinter
sich. An vielen staunenden Gesichtern bei Drahtzug vorbei, an der lustig
gletschernden Selke entlang, an den Kreuzen, Kapellen, Auslugen oben an
den Selkehängen vorüber, geht es ins Tal der eisernen Romantik. Ein
köstlicher Naturfilm rollt sich ab. Der ganze Zauber des sagenumraunten
Tales entfaltet sich. Das Auge kann die rasch wechselnden Eindrücke kaum
fassen. Und schon leuchtet Alexisbad auf. Das Gelände der Klostermühle,
wo einst vor 1000 Jahren die Mönche ihre frommen Lieder sangen, wo sie
einst die klappernden Gebeine der um die geschleifte Erichsburg
aufgehängten Raubritter christlich bestatteten.
Die Kursaison ist etwas sehr früh schon heute von der Kurkapelle in dem
schönen schattigen Kurpark eröffnet worden.
Unser Wagen flitzt nach Harzgerode hinauf, dem freundlichen alten
Städtchen über der Selke, vor 225 Jahren noch Residenz eines
selbstständigen Fürstentums. Eine schöne Parkanlage grüßt am Bahnhof.
Die Fahrt ist beendet. In 48 Minuten, während die sonst übliche Fahrzeit
58-60 Minuten betrug.
Dreimal täglich hin und zurück wird der neue Motorwagen die Reise
innerhalb des erheblich verbesserten Sommerfahrplanes
machen. Glück auf!
Foto (Sammlung Frenzel): Der Triebwagen GHE T 1 kurz nach der Inbetriebnahme in Gernrode.
Die angedachte Anschaffung eines weiteren Triebwagens wurde zugunsten
des Erwerbs eines Busses für den betriebseigenen Kraftverkehr fallen
gelassen.
Zum Abbruch des täglichen Einsatzes kam es durch den Ausbruch des II.
Weltkrieges. Bedingt durch zunehmende Schwierigkeiten bei der
Kraftstoffbeschaffung - Benzin und Dieselkraftstoff wurden im Krieg
dringend benötigt, es kam zur Rationierung - war ein regelmäßiger
Einsatz nicht mehr möglich, der Triebwagen wurde abgestellt. So
verbrachte er die letzten Kriegsjahre bis zum Kriegsende im nicht mehr
genutzten Lokschuppen in Eisfelder Talmühle.
Im April 1946 erfolgte der unsinnige Demontagebefehl der
Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn, der zum völligen Abtransport aller
Materialien (Gleise und Fahrzeuge) führte und zum größten Teil von den
Mitarbeitern in Dienstverpflichtung ausgeführt werden musste.
Kurioserweise blieb der Triebwagen davon unberührt, wie auch der
Abschnitt Hasselfelde - Stiege - Eisfelder Talmühle. Dazu hatte ich 1987
ein interessantes Gespräch mit einer ehemaligen GHE-Mitarbeiterin, die
die Situation direkt miterlebt hat und eigentlich diejenige war, die den
1933 gekauften Triebwagen vor dem Abtransport gerettet hat. Sie
berichtete mir:
Wir waren in Gernrode im Büro, als plötzlich die Tür aufging und zwei
sowjetische Offiziere vor uns standen und die Bahnstrecke als
Demontageobjekt erklärten. Sie forderten sofort eine Inventurliste, die
ich, am ganzen Leibe vor Angst zitternd, dann gleich erstellen mußte.
Der Zeitdruck war so groß, daß ich einfach die Liste von 1931 abschrieb
und somit meinen Auftrag erfüllt habe.
Der Triebwagen wurde nach Abschluss der Demontage nach Wernigerode
überführt und später zwischen Hasselfelde, Stiege und Eisfelder Talmühle
eingesetzt. Dieser verbliebene Restabschnitt der GHE wurde nunmehr von
der Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn (NWE) weiter betrieben.
Die demontierte Bahnlinie zwischen Gernrode und Straßberg und auch nach
Harzgerode wurde ab 1947 unter schwierigsten Bedingungen wieder
aufgebaut, nicht zuletzt, um den in Straßberg geförderten Flußspat, auch
ein wichtiges Reparationsgut, abtransportieren zu können.
Am 8. März 1949 war die Strecke zwischen Gernrode und Straßberg wieder
befahrbar, der Abschnitt nach Harzgerode wurde im Juli 1950
fertiggestellt. Weitere Betrachtungen über diese schwere Zeit sollen
hier nicht gemacht werden, das könnte ein nächstes Thema werden.
Den benötigten Fahrzeugpark stellte in erster Linie die NWE zur Verfügung,
der Triebwagen war zunächst das einzige Fahrzeug zur
Personenbeförderung.
Damals hatte ich folgendes, sehr persönliches
Erlebnis:
Die Wiederaufnahme des Personenverkehrs im Sommer 1950 erlebte ich als
Schüler der 1. Klasse am Ende des Schuljahres, welches mit einem
Wandertag endete und uns nach Alexisbad führte. Die Strecke zurück nach
Harzgerode fuhren wir mit dem Triebwagen, wo wir wohlbehalten ankamen
und alle den Heimweg antraten. Mir hatte die Fahrt wohl so gut gefallen,
dass ich wieder einstieg und noch einmal ohne Lehrer bis Alexisbad und
wieder zurück nach Harzgerode fuhr. Es hat mich auch keiner daran
gehindert, man pendelte am Eröffnungstag mehrmals zwischen Alexisbad und
Harzgerode.
Die Wiederaufnahme des Fahrverkehrs lag zeitlich fast unmittelbar
zusammen mit der Zuordnung der Privatbahnunternehmen zur Deutschen
Reichsbahn (DR), gemäß Zentralverordnungsblatt Teil I Nr. 23 vom 9. März
1949, wirksam ab 1. April 1949.
Im Laufe der Jahre normalisierte sich dann langsam der Zugverkehr, von
der Harzquerbahn setzte man nach Lieferung der 1E1-Neubauloks die
Mallet-Maschinen (99 5901-6) und die NWE 21 (99 6001) nach Gernrode um,
der Triebwagen (nunmehr unter der Bezeichnung VT 133 522, ab 1970 187
001) wurde 1956 aus dem Plandienst genommen.
1963 wurde er als Bahndienstwagen umgerüstet, dabei wurden die Sitzbänke
entfernt, die Fenster im Mittelteil vergittert und Platz geschaffen für
Werkzeuge und Material. 1978 wurde er schließlich abgestellt und
fristete sein Dasein im Triebwagenschuppen in Gernrode.
Foto (Sammlung H. Prochnau): Der Innenraum des GHE T 1 als Gerätewagen.
Foto S. Frenzel: Auch bei Gleisbauarbeiten wurde der Triebwagen eingesetzt, hier in Silberhütte.
Nach langer Zeit des Stehens entschloss man sich schließlich zur
bedingten Wiederinbetriebnahme für den Sonderzugdienst, es erfolgte der
Abtransport in das Bahnbetriebswerk (Bw) Haldensleben. Leider ist mir
der genaue Zeitpunkt nicht bekannt. Es entstanden viele Gerüchte über
seinen Verbleib, er wurde allerdings zum 100jährigen Jubiläum der
Selketalbahn am 7. August 1987 zurück erwartet. Das geschah leider
nicht, was den damaligen Chef des Bahnhofes Gernrode sehr enttäuschte.
So kam es zu einer sehr bewegenden Begegnung mit einem Modellbauer aus
Bad Hersfeld, der den T1 in Gartenbahngröße nachgebaut und zum Jubiläum
mitgebracht hatte, als er ihn in Straßberg auf seinem Autodach
präsentierte. Die Freude war so groß, dass dem Gernröder Eisenbahner
fast die Tränen in den Augen standen.
Foto (Sammlung Frenzel): Herr Eisenhuth aus Bad Hersfeld mit seinem Triebwagen-Modell anlässlich der Feier "100 Jahre Selketalbahn" in Straßberg, 09.08.1987.
Es dauerte noch einige Zeit (22.09.1989), bis dann endlich der
Triebwagen in neuer Farbgebung und mit neuen, roten Ledersitzen und
beigefarbene Vorhängen ausgestattet, wieder auf seiner Stamm-strecke
auftauchte. Die Freude war groß, aber nicht von langer Dauer, denn seine
erste Probefahrt führte zu einem schweren Motorschaden. In der Nähe von
Sternhaus-Haferfeld, am km 4,5, riss ein Pleuel ab und beendete abrupt
die Weiterfahrt. Somit war der Abnahmetermin 04.10.1989 geplatzt, es
erfolgte der Rücktransport nach Haldensleben, wo schließlich ein
Motorwechsel vorgenommen wurde.
Da die Instandsetzungsarbeiten offensichtlich nicht planmäßig, sondern
nebenbei getätigt und improvisiert wurden, war auch hier keine konkrete
Terminisierung für die Fertigstellung möglich. Der T 1 kam allerdings
schon nach kurzer Zeit, am 15.12.1989, zunächst nach Wernigerode, wo er
seine Probefahrt diesmal anstandslos absolvierte, und so konnte der T 1
schließlich am 23.12.1989 ohne Probleme mit eigener Kraft nach Gernrode
überführt werden. Allerdings - für den täglichen Planeinsatz war er
nicht mehr vorgesehen, er kam seitdem für Sonderfahrten in breiter
Vielfalt zum Einsatz und hat schon vielen Fahrgästen Spaß und Freude
bereitet und einen Einblick in die Nostalgie der Schmalspurbahn
vermittelt.
Von 2008 bis 2010 erfolgte eine grundlegende Aufarbeitung im
Dampflokwerk Meiningen, am 08.10.2010 kehrte der T 1 dann zurück nach
Wernigerode. In der Werkstatt der HSB erfolgen derzeit noch weitere
Arbeiten - z.B. der Einbau einer Sifa (Sicherheits-Fahrschaltung).
Der Innenraum wurde weitgehend in den Ursprungszustand zurück versetzt.
Die Sitze sind nun mit lindgrünem Samt gepolstert, viele Teile der
hölzernen Innenverkleidung wurden erneuert. Die Außenlackierung
entspricht nun dem Zustand der 1950er Jahre, ebenso die Beschriftung als
VT 133 522.
Voraussichtlich ab Frühjahr 2011 steht der nunmehr 77 Jahre alte
Triebwagen wieder für Sonderfahrten zur Verfügung - wünschen wir ihm
"Allzeit gute Fahrt" und viele begeisterte Fahrgäste!
Falls Sie woandersher gekommen sind: Diese Seite gehört zu www.anhaltische-harzbahn-triebwagen.de